Der „richtige“ Farbkreis in der Malerei

Ein kleiner Exkurs in die Farblehre für Anfänger – verständlich erklärt und praktisch anwendbar

 

Warum sieht mein Farbkreis anders aus als im Buch?

Wie mische ich einen „richtigen“ Farbkreis? Warum sieht mein Ergebnis nie so aus wie auf den Bildern in Büchern oder im Internet? Mache ich etwas falsch? Bin ich untalentiert – oder stimmt womöglich der gezeigte Farbkreis nicht? Diese Fragen stellen sich viele, die sich zum ersten Mal mit der Farblehre beschäftigen. Spätestens wenn erste Malversuche scheitern, beginnt man, nach den Ursachen zu suchen.

Der Farbkreis von Johannes Itten – ein abstraktes Merkschema

Wer sich mit dem Thema Farbe beschäftigt, stößt bald auf den Namen Johannes Itten. Der Schweizer Kunstpädagoge hat in den 1960er-Jahren ein wegweisendes Buch veröffentlicht. In diesem stellt er einen Farbkreis und Gesetzmäßigkeiten vor, die davon abgeleitet werden können. Doch wer versucht, Ittens Farbkreis nachzumalen, wird schnell merken: So einfach ist das nicht. Viele – besonders im deutschen Sprachraum – kritisieren, dass sich der Kreis in der Praxis kaum eins zu eins umsetzen lässt. Für mich ist Ittens Farbkreis vor allem ein theoretisches Modell, das man mit eigenen Farben und Erfahrungen füllen muss. Johannes Itten formuliert das in seinem Buch so:
Gibt es für Künstler und das Gebiet der Ästhetik allgemein verbindliche Farbgesetze und Regeln, oder ist die ästhetische Beurteilung der Farben einzig und allein subjektiver Meinung unterworfen? […] Wenn Sie, ohne es zu wissen, Meisterwerke der Farbe schaffen können, so ist das Nicht-wissen Ihr Weg. Wenn Sie aber aus Ihrem Nicht-Wissen keine Meisterwerke schaffen können, dann sollten Sie sich Wissen erarbeiten.“
Und zur Auswahl der Grundfarben: „Es ist bekannt, dass der normal Farbensichtige in der Lage ist, ein Rot zu finden, das weder bläulich noch gelblich ist, ein Gelb zu finden, das weder grünlich noch rötlich ist, und ein Blau zu finden, das weder grünlich noch rötlich ist. Die Farben erster Ordnung müssen auf das sorgfältigste ausgewählt werden.“
Darauf aufbauend beschreibt er die Farben zweiter und dritter Ordnung, die aus Mischungen entstehen, und nennt dies ein „zwölfteiliges, gleichständiges System“.

Ein englischsprachiger Zugang – praktisch und flexibel

Im englischsprachigen Raum wird der Farbkreis oft pragmatischer behandelt. Man spricht dort einfach von primary, secondary und tertiary colors, ohne sich auf bestimmte Pigmente festzulegen. Für mich war das Buch „Praktische Farbenlehre für die Hobbymalerei“ von Nita Leland ein echter Augenöffner. Sie empfiehlt allen Anfängern, sich intensiv mit Pigmenten und ihrem Verhalten zu beschäftigen.

Die Grenzen des Farbraums
Ihr habt sicher schon gehört: Mit drei Grundfarben kann man alle Farben mischen. Das ist grundsätzlich richtig – aber nur innerhalb eines bestimmten Farbraums. Bei deckenden Medien braucht man zusätzlich Weiß, beim Aquarell ersetzt das Papier diese Funktion. In meinen Beispielen zeige ich euch, wie sehr sich Ergebnisse unterscheiden können – auch wenn sie einzeln betrachtet stimmig wirken. Erst im direkten Vergleich wird klar, dass ein Farbkreis zu dunkel, zu leuchtend oder zu gedämpft erscheint. Die Lösung: Verschiedene Varianten der Grundfarben ausprobieren, um den Farbraum zu erweitern und/oder ein anders Medium ausprobieren.

Aquarellfarben
Hier hängt die Farbwirkung stark von der Papierqualität und der Pigmentreinheit ab. Das Licht scheint durch die Farben hindurch und wird vom Papier reflektiert – das beeinflusst den Farbeindruck maßgeblich. Der Farbkreis mit den Grundfarben, die man aus dem Drucker kennt, zeigt, dass die Rottöne bei weitem nicht so kräftig sind, wie man sich das vorstellt. Auch die Grüntöne sind anders, als man sie aus dem Drucker kennt. Mit anderen Pigmenten in Künstlerqualität und auf Hadernpapier sieht es deutlich besser aus.

Acrylfarben
Ähnlich wie Ölfarben sind auch Acrylfarben durch ihre Dichte und die Dispersion im Kunstharz sehr farbkräftig. Sie verhalten sich in der Wirkung oft ähnlich wie Ölfarben, lassen sich aber schneller verarbeiten. Auch hier sieht man ganz deutlich an den beiden Beispielen, wie unterschiedliche Pigmente das Ergebnis beeinflussen.

Ölfarben
Pigmente in Ölfarben liegen dichter und werden durch das Öl zusätzlich gebrochen. Das Ergebnis ist intensiver und vollfarbiger, aber auch schwerer zu mischen. Das Beispiel mit der sogenannten altmeisterlichen Palette nutzt Lichter Ocker, Gebrannte Siena und Indigo als Grundfarben. Das sind die Farben, die den alten Meistern zur Verfügung standen. Mit denen haben sie es durch ausgefeilte Lasurtechniken geschafft, trotzdem den Eindruck von Gelb, Rot und Blau zu erzeugen.

Mein Rat für Anfänger

Malt Farbkreise mit verschiedenen Grundfarben. Probiert Aquarell, Öl oder Acryl. Mischt sie mit Weiß, oder auch mit Schwarz. Und malt dann eure ersten Motive ausschließlich mit diesen drei Farben (plus Weiß bei Öl und Acryl). Es gibt Künstler, die ihr ganzes Leben nur mit drei Grundfarben plus Weiß arbeiten – wie z. B. Anders Zorn mit seiner berühmten Zorn-Palette: Ockergelb, Zinnoberrot, Elfenbeinschwarz und Titanweiß.

Nutzt dabei auch die Wirkung von Farbkonstrasten:

1. Der Farbe-an-sich-Kontrast
Die drei Grundfarben bilden innerhalb eines Farbraums den stärksten Kontrast. Setzt man sie nebeneinander, entsteht eine kräftige, ausdrucksstarke Wirkung.

2. Der Qualitätsunterschied der Farben
Reine Grundfarben leuchten am stärksten. Mischungen aus zwei Farben sind gedämpfter. Mischungen aus drei Farben (mit oder ohne Weiß) wirken noch zurückhaltender. Das beeinflusst die Wirkung eures Bildes enorm.

Was ist nun der richtige Farbkreis?

Wenn ihr all diese Farbübungen gemacht habt, könnt ihr die Eingangsfrage selbst beantworten: Der richtige Farbkreis ist der, den ihr mit euren bevorzugten Grundfarben entwickelt habt. Farben wirken auf jeden Menschen unterschiedlich – nicht nur, weil wir sie physisch verschieden wahrnehmen, sondern auch, weil wir persönliche Vorlieben haben. In meinen Kursen war die Überraschung oft groß, wenn sich am Ende die Farbwahl im Bild mit der Kleidung der Teilnehmenden deckte.

Achtung bei komplexen Motiven

Eure Lieblingsfarben sind nicht immer die beste Wahl für jedes Motiv. Manche Pigmente verlieren beim Mischen schnell ihre Leuchtkraft, andere sind so dominant, dass sie alle Mischungen überlagern. Das ist ein weiteres spannendes Kapitel der Farberforschung – und eine echte Entdeckungsreise.

Üben ist das Geheimnis

Es klingt vielleicht enttäuschend – aber die einzige Methode, Farben wirklich zu beherrschen, ist: üben, üben, üben. Jeder Farbkreis, jede Mischung bringt euch weiter. Ich hoffe, dieser kleine Exkurs hat euch inspiriert und motiviert. Ihr könnt euch das Ganze auch auf meinem YouTube-Kanal (Achtung externer Link!) ausführlich von mir zeigen lassen.Viel Spaß beim Entdecken eurer ganz persönlichen Farbwelt!

Farbkreis mit Studienaquarellfarben Zitrongelb, Magenta und Cyan auf Studienaquarellblock

Farbkreis mit Studienaquarellfarben Zitrongelb, Magenta und Cyan auf Studienaquarellblock 

Farbkreis mit Künstleraquarellfarben Kadmiumgelb, Karmesin und Phthaloblau auf Hadernaquarellblock

Farbkreis mit Künstleraquarellfarben Kadmiumgelb, Karmesin und Phthaloblau 

Farbkreis mit Acrylfarben: Kadmiumgelb, Karmesin, Cyanblau

Farbkreis mit Acrylfarben: Kadmiumgelb, Karmesin, Cyanblau

Farbkreis mit Acrylfarben: Kadmiumgelb, Kadmiumrot, Ultramarinblau

Farbkreis mit Acrylfarben: Kadmiumgelb, Kadmiumrot, Ultramarinblau

Farbkreis mit Ölfarben und den altmeisterlichen Pigmenten Lichter Ocker, Gebrannte Siena und Indigo

Farbkreis mit Ölfarben und den altmeisterlichen Pigmenten Lichter Ocker, Gebrannte Siena und Indigo